Point Finance

Chinesische Aktien nach dem Sturm

Die chinesische Politik aus der ESG-Perspektive

September 2021 | China zu ignorieren ist unmöglich, dazu hat das Land in der Weltwirtschaft und im globalen Handel zu viel Gewicht. Anleger, die chinesische Aktien meiden, verpassen Wachstumschancen. China ist noch immer der globale Wachstumstreiber und in mehreren Bereichen wie dem elektronischen Handel und der Erschliessung und Nutzung von erneuerbaren Energien weltweit führend.

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author

Yiqian Jiang

Head of China Equities | Harvest Global Investments Limited, Hong Kong



Angemessen bewertete Aktien bieten langfristige Kaufgelegenheiten: Der MSCI China Index und der CSI 300 Index sind seit Ende Juni um 14.1% bzw. 8.0% und seit Jahresbeginn um 13.0% bzw. 7.8% gefallen. Durch diesen Kursverlust haben die Aktien Grosschinas wieder eine faire Bewertung erreicht. Beide Benchmarks weisen ein PER1 von 13.6x auf. Dieser Abwärtstrend steht im krassen Gegensatz zu den Rekordbewertungen von US-Aktien (21.8x Ende August). Aktien aus dem chinesischen Raum sind somit für langfristig orientierte Anleger eine gute Wahl.

Die ESG Analyse hilft uns, durch die kurzfristige Volatilität zu navigieren: Der aufgewirbelte Staub hat sich jedoch noch nicht gelegt. Politische Unsicherheiten sind in der Regel nicht so schnell aus der Welt geschafft. Wir haben unsere Barmittel aufgestockt, um sie gegebenenfalls in überverkaufte Aktien mit vielversprechenden Wachstumsaussichten zu investieren. ESG Analysen sind bei der Auswahl chinesischer Unternehmen heute wichtiger denn je. Sie helfen uns, Firmen zu erkennen, die den höchsten Standards der chinesischen Regierung in ihrem Streben nach Qualität und nachhaltigem Wachstum entsprechen. Vor der Ende Juni eingetretenen Korrekturwelle am chinesischen Offshore Aktienmarkt häuften sich negative Schlagzeilen zu kontroversen Themen wie dem starken akademischen Druck auf Studierende, der Datensicherheit und dem monopolistischen Gebaren mancher Unternehmen. Wir zogen alarmiert die Notbremse und reduzierten unser Engagement in Branchen und Unternehmen mit hohen regulatorischen Risiken stark oder sogar vollumfänglich.

Die chinesische Politik aus der ESG-Perspektive beleuchten: Aufgrund der kurzfristigen Risiken sind wir gegenüber den vom Staat in die Pflicht genommenen Branchen vorsichtig, glauben aber, dass Chinas regulatorisches Durchgreifen mittel bis langfristig zu qualitativem Wachstum und gesundem Wettbewerb führt. Chinas Antimonopolmassnahmen werden den fairen Marktwettbewerb fördern und kleine und mittlere Unternehmen bei ihrer Rolle als Innovationstreiber unterstützen. Chinas regulatorische Massnahmen in den Bereichen Datensicherheit und Sozialleistungen für Arbeitnehmende verbessern die ESG-Profile chinesischer Unternehmen, was langfristig sowohl dem Land als auch dem nachhaltigen Marktwachstum zugutekommt. Mit ihrer Regulierung packt die chinesische Regulierung in ihrem Bestreben nach allgemeinem Wohlstand und mehr Gerechtigkeit die Probleme des Reichtums und der sozialen Ungleichheit an und geht dabei deutlich entschlossener und forscher zur Sache als die Industrieländer, die eigentlich die gleichen Ziele anstreben.

Die politische Unterstützung in der zweiten Jahreshälfte bietet Chancen: Seit den Börsenturbulenzen im Juli versuchen die chinesischen Regulierungsbehörden den Markt zu beruhigen. Da sich das chinesische Wirtschaftswachstum im zweiten Halbjahr aufgrund sporadisch aufgetretener Covid-19-Fälle und eines starken Basiseffekts verlangsamt hat, rechnen wir damit, dass China das Geld und Fiskalpolitik zur Unterstützung der Wirtschaft etwas lockert. Wir erwarten neue Herabsetzungen der Bankenreservequote und neue Emissionen von Kommunalobligationen. Das makropolitische Umfeld könnte Investitionen in die Infrastruktur in der zweiten Jahreshälfte begünstigten und die unterbewertete Infrastruktur und Bauunternehmen Auftrieb verleihen. Deren Bewertungen liegen derzeit bei einem PER von nur 4x bis 5x. Da China zudem mit strengen Massnahmen gegen die Überhitzung des Immobilienmarkts vorgeht, erwarten wir, dass lokale Investoren ihre Gelder in den Aktienmarkt investieren, wenn so wie jetzt ausreichend liquide Mittel vorhanden und die Bewertungen angemessen sind.

Unternehmen mit Rückenwind und gutem ESG-Profil auswählen: Längerfristig ziehen wir es vor, uns auf strukturelle Anlagechancen zu konzentrieren. Hierzu gehören die Entwicklung des Privatkonsums hin zu höheren Marktsegmenten, die Modernisierung der Industrie und die CO2 Neutralität. Der Verlauf der Börsenindizes bildet die Realität nicht vollständig ab. Zahlreiche in den Benchmarks stark gewichtete Aktien geben seit Beginn des Jahres ab und ziehen die Gesamtperformance der Indizes nach unten. Im aktuellen Marktumfeld sind wir bei der Auswahl der Branchen und Unternehmen noch selektiver geworden. Für Unternehmen, die in den Bereichen Sportbekleidung, Nahrungsmittel und Getränke, Export, Hardware und Softwaretechnologie sowie erneuerbare Energien tätig sind, gelten die Antimonopolvorschriften nicht oder sie sind in Bezug auf die ESG-Kriterien weniger kontrovers. Für sie dürften sich mehrere nationale Strategien wie der doppelte Wirtschaftskreislauf 2, die technologische Unabhängigkeit vom Ausland und die CO2 Neutralität positiv auswirken. Wir bevorzugen chinesische ESG Unternehmen mit ansprechender Performance, da sie nach unserer Einschätzung am ehesten in der Lage sind, sich den strengeren Vorschriften anzupassen.

Für Chinas Internetbranche wurden noch nicht alle der neuen Vorschriften bekannt gegeben, wir gehen aber davon aus, dass der Markt die meisten dieser Risiken bereits berücksichtigt. Weitere regulatorische Unsicherheiten betreffen die Umsetzung der Steuervergünstigungen, des Datenschutzes, des Kartellrechts, der Sozialleistungen und möglicherweise auch die Glücksspielindustrie. In der letztgenannten Branche bevorzugen wir Unternehmen mit starken Wettbewerbsvorteilen und hohem Wertschöpfungspotenzial, da wir überzeugt sind, dass sie gut mit den regulatorischen Unsicherheiten umgehen können.

In der Konsumbranche favorisieren wir Lebensmittel und Getränkehersteller, die weiterhin solide Gewinne erzielen, sichtbare Wachstumsaussichten aufweisen und angemessen bewertet sind. Ein weiteres bevorzugtes Thema ist der Aufschwung lokaler Marken. Unterstützt von der nationalen Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs und den anhaltenden geopolitischen Spannungen gewinnen lokale Marken immer mehr Marktanteile. In Anbetracht der ehrgeizigen Ziele bezüglich neuer Elektrofahrzeuge (New Energy Vehicle, NEV) in China erwarten wir zudem eine Beschleunigung der NEV-Verkäufe.

In der Technologiebranche profitieren Technologieausrüster vom Gegenwind der chinesischen Politik, wie der angestrebten technologischen Unabhängigkeit und der Modernisierung der Industrie. China wird wohl in den kommenden Jahren verstärkt in lokale Technologieausrüster investieren, insbesondere in den Bereichen Halbleiter und integrierte Schaltkreise (letztere bilden heute das Herzstück einer breiten Palette von Produkten, von Autos und Computern bis hin zu Smartphones und Geschirrspülern). Angesichts der Risiken, die mit der schwächeren Nachfrage nach Smartphones und der durch die anhaltende Pandemie aus dem Gleichgewicht gebrachten Dynamik von Angebot und Nachfrage einhergehen, bleiben wir jedoch vorsichtig.

Aus politischer Sicht bergen die Versorgungsketten für erneuerbare Energien und schadstofffreie Elektrofahrzeuge das geringste Risiko, da sich beide Branchen im Einklang mit Chinas Zielen der Klimaneutralität befinden. Die chinesische Regierung hat in den letzten zwei Jahrzehnten massiv in beide Branchen investiert und es sind mehrere lokale Unternehmen entstanden, die in der Lage sind, mit ausländischen Firmen zu konkurrieren. Mittlerweile sind sie sowohl technisch als auch in Bezug auf die Produktionskapazität sogar weltweit führend. Die Industrie der Solar und Elektrofahrzeugbatterien bietet angesichts der langen Lieferketten und der in diesem Jahrzehnt vermutlich stark steigenden Nachfrage zahlreiche Investitionsmöglichkeiten. Anleger können über A- oder H-Aktien in den Markt investieren, denn in jedem Teil der Wertschöpfungskette ist mindestens ein börsennotiertes Unternehmen beteiligt.

Zusammenfassend unsere Entscheidungen für den Aktienmarkt in Grosschina:

Die drei bevorzugten Branchen/Themen:

  • Konsum/technologische Modernisierung (insbesondere lokale Konsummarken/Technologieunternehmen/Hersteller mit fortschrittlicher Technologie, die soziale Gerechtigkeit und Qualität fördert und von der Modernisierung der Produkte profitiert bzw. Importe ersetzt)
  • Nutzniesser der Klimapolitik (z.B. Elektrofahrzeuge, Material für Elektrofahrzeuge, neue Energien)
  • Nutzniesser des weltweiten Aufschwungs, die für Chinas Lieferkette von strategischer Bedeutung sind (z.B. Hauptexporteure von Automobilkomponenten, Industrie- und Konsumgütern sowie Rohstoffen wie Aluminium).

Zu vermeidende Branchen/Themen:

  • Unternehmen, die politischen Risiken ausgesetzt sind, z.B. Online-Glücksspiele, elektronischer Handel (potenziell mehr politische Einschränkungen, höhere Steuern usw.)
  • Unternehmen mit niedrigem ESG-Score (z.B. Kohle, Glas und Stahl mit hohen CO2-Emissionen und strenger staatlicher Kontrolle in Bezug auf Produktpreise und mengen).
  • Sehr hoch bewertete Unternehmen (einige Konsumgüter und Gesundheitsunternehmen).

  1. Price-Earnings Ratio: Kurs-Gewinn-Verhältnis, d.h. Verhältnis zwischen Kurs und Gewinn einer Aktie. ↩︎

  2. Mit der im Mai 2020 angekündigten nationalen Strategie der „zwei Kreisläufe“, auch doppelter Wirtschaftskreislauf genannt, wird der inländische Konsum („interner Kreislauf“) politisch ebenso gefördert wird wie die Exporte („externer Kreislauf“). ↩︎

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